Leseprobe

„Obdachlos im Heiligen Land Tirol“

Es war kalt. Wir hatten schon einen weiten Weg hinter uns, von 7 Uhr früh bis jetzt, 17 Uhr.
Obdachlos waren wir bereits seit einigen Tagen. Es war für uns totales Neuland, wir hatten ja überhaupt keine Ahnung, was da auf uns zukommt. Nun mussten wir warten auf die Dunkelheit, um zu unserem Schlafplatz in einem Wald bei Ampass bei Innsbruck gehen zu können. Die ersten Tage zuvor hatten wir in unserer Not in den Innauen bei Völs geschlafen, auf Zeitungspapier und mit dem, was wir an hatten. Dann begann der Föhn und danach zu regnen. Deshalb mussten wir uns einen anderen Platz suchen.

Wir mussten jeden Tag ganz früh beim Morgengrauen aufstehen, unseren notdürftigen Schlafplatz tarnen, denn ein Stück oberhalb führte ein Wanderweg vorbei und unser Platz sollte nicht entdeckt werden. Es war in der Nacht auch sehr gefährlich. Da wir kein Geld mehr hatten, mussten wir doch in die Stadt, alles von Anfang an zu Fuß. Wir kannten uns auf diesem Gebiet überhaupt nicht aus, brauchten aber etwas zu essen. Anfangs suchten wir leere Einsatzflaschen und brachten jeden Tag zumindest so viele zusammen, dass es sich für einen Wecken Brot und etwas zu trinken ausging.

Dass es nicht so weitergehen konnte, war uns klar. Aber wir wussten ja nichts, waren auf diesem Gebiet totale Neulinge. Wir hatten keine Ahnung, dass es in Innsbruck einige Essensstellen gab und auch kirchliche Stellen, wo man eine Jause holen konnte. Da wir langsam jeden Tag an Kraft verloren, begannen wir die zahlreichen Obdachlosen zu beobachten, die es damals in Innsbruck gab und auf die man erst so richtig aufmerksam wird, wenn man selbst auf der Straße lebt. Wohl oder übel kamen wir dann an verschiedenen Plätzen mit den ersten Langzeitobdachlosen zusammen. Wir wollten es eigentlich nicht, denn wir hatten ja noch unseren Stolz und hätten es gerne alleine geschafft. Doch das ging leider nicht mehr, denn wir waren schon sehr geschwächt durch Hunger, zu wenig Schlaf und die vielen Kilometer, die wir in den vielen Stunden jeden Tag zurücklegten. 
Durch die ersten Kontakte mit den Obdachlosen erfuhren wir langsam, wo man Essen gehen konnte und sich Duschen. Man bekam auch einmal in der Woche frische Wäsche und Socken. Somit ging es uns fürs erste etwas besser und wir kamen wieder etwas zu Kräften.

Es war eine harte Zeit für uns. Das Schönste war eigentlich, wenn wir uns abends, natürlich erst bei totaler Finsternis, todmüde unseren Platz richten und uns in unsere warmen Sachen wickeln konnten.
Aber in der Früh – wir mussten ganz früh raus aus unseren warmen Sachen hinaus in die Kälte – waren Giselas Stiefel und meine Schuhe über Nacht steif gefroren und wir brauchten einige Zeit, um in diese hineinzukommen. Danach, wir haben immer zwei Flaschen Wasser mitgenommen, um uns notdürftig waschen zu können, mussten wir unsere Schlafsachen verstecken, was auch einige Zeit in Anspruch nahm. Dabei mussten wir aufpassen, dass uns niemand sah. Dann ging es los. Eine Stunde brauchten wir bis in die Stadt und dann ging es weiter nach Völs, Zirl usw.

Im Frühjahr des 2. Jahres änderte sich entgegen unserer Hoffnungen an unserer Lage gar nichts. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer, man kannte es uns schon an! Mit unserem Motto „Nur nichts anmerken lassen“ ging nichts mehr. Wir suchten verzweifelt nach einem Ausweg, fanden aber keinen; man gab uns nirgends aber auch nur die geringste Chance. Wir begannen langsam das erste Mal zu resignieren. Nach wie vor hielten wir uns hauptsächlich außerhalb der Stadt auf, wurden langsam menschenscheu. Ab und zu mussten wir aber in die Stadt, eben um etwas zu essen und zu duschen. In der Früh und abends am Retourweg zu unserem Platz mussten wir sowieso jeden Tag durch. Zu der enormen körperlichen Belastung kam dann langsam, aber sicher die psychische und diese war weitaus schlimmer als die körperliche. Wir empfanden die Blicke der Menschen, die wirklich nicht als freundlich zu bezeichnen waren, wie Dolchstiche. Ich verstehe heute noch nicht, als einer der ganz wenigen Überlebenden dieser furchtbaren Zeit, und werde es wahrscheinlich auch nie begreifen, warum Menschen, die man ja gar nicht kennt, denen man nie etwas getan oder in den Weg gelegt hat, sich derartig böse und abfällig verhalten können gegenüber Menschen, denen es noch schlechter gar nicht mehr gehen könnte. Das sogenannte heilige Land Tirol!

Es wurde ein heißer Sommer, es regnete ganz selten. Wir hielten uns hauptsächlich auf den Waldwegen nach Baumkirchen, nach Fritzens und Terfens auf, dort waren wir vor der Sonne geschützt und es gab genug schöne Plätze, an denen wir unser Nachtlager aufschlagen konnten. Es gab dann natürlich auch extrem heiße Tage, bis zu 40 Grad, für solche hatten wir auf dem Radweg zwischen Hall und Volders neben dem Inn eine schöne kühle Bucht gefunden, in der wir solch extreme Tage einigermaßen gut überstehen konnten. Auch zum Schlafen ging es dort. An Regentagen und Nächten gingen wir zum Alten Bahnhof in Baumkirchen, das Wartehäuschen dort war gut überdacht und es gab damals noch die alten langen Holzbänke, auf denen man mit Unterlage und Schlafsack einigermaßen gut schlafen konnte. Abgesehen vom Lärm der vorbei fahrenden Züge.

So gehen wie früher konnte Gisela nicht mehr, denn sie hatte gleich einmal starke Schmerzen in den Gelenken und wir mussten deshalb immer längere Pausen einlegen. Zwischen Flauring und Oberhofen fanden wir eine schöne Bucht neben dem Inn, wo wir auch gut übernachten konnten. Da es inzwischen wärmer wurde und den ganzen Tag die Sonne strahlte, konnten wir einmal unsere Sachen auswaschen und auf großen heißen Steinen zum Trocknen legen. Waschen mussten wir uns im Fluss, ging ganz gut, zum Rasieren hatte ich einen Damentaschenspiegel gekauft und das ging auch gut. Wir sagten uns, solange das Wetter hält, könnten wir eigentlich ein paar Tage hier bleiben. Der Platz war sichtgeschützt vom Weg her, wir sahen keinen Menschen, hatten also Ruhe. Das Problem war nur, uns gingen die Vorräte aus. Hatting war von unserem Platz aus ca. 1,5 Stunden entfernt, etwa gleich weit wie Oberhofen. In Hatting wusste ich, gab es kein Geschäft. In Oberhofen wusste ich es nicht genau, also versuchte ich es in Flauring, welches in einer guten Stunde erreichbar war, dafür aber ziemlich bergauf.

…                              

Es war dann schon Nachmittag, als wir in Baumkirchen ankamen. Wir flüchteten uns sofort ins Wartehäuschen. Dort saßen wir nun. Wir konnten so gut wie nichts tun, mit unseren kleinen Taschenschirmen hätten wir keine Chance gehabt bei diesem Wetter, unser Gewand und vor allen Dingen die Reisetasche wären nach kürzester Zeit patschnass gewesen und somit wäre der Inhalt der Tasche feucht geworden. So saßen wir da in der Hoffnung, dass es über Nacht vielleicht doch aufhört zu regnen. Es war nasskalt, die Wolken hingen so weit herunter, dass wir das etwas weiter entfernte Baumkirchen kaum sehen konnten. Zum Glück waren damals fast keine Fahrgäste anwesend, ganz selten stieg jemand ein oder aus. So gesehen hatten wir unsere Ruhe.

                                 

Das Wartehäuschen war zwar überdacht, hatte eine Hinterwand und zwei Seitenwände aus Holz, aber nach vorne hin zu den Schienen war es offen. Dadurch begann natürlich das Nasskalte, in unsere Körper zu kriechen. Wir hatten ja keine Bewegung. Wir zogen unsere Reservepullover an und so ging es ein wenig besser. Hinlegen in unsere Schlafsäcke konnten wir uns ja erst nach Einbruch der Dunkelheit. Gott sei Dank hatten wir noch genug Wein für heute, den brauchten wir nämlich, um nicht krank zu werden. Auch machten sich bei Gisela die ersten Entzugserscheinungen bemerkbar. So verbrachten wir die endlos lange Zeit bis zur Dunkelheit. In so einer Situation ist eine Stunde nicht zweimal, sondern dreimal so lange als normal. Was waren wir froh, als wir uns endlich in unsere warmen Schlafsäcke einwickeln konnten. Unser Gewand zogen wir aus und hängten es hinter uns auf die Holzlehnen. Vor Erschöpfung schliefen wir sofort ein.

Wir marschierten gleich in der Früh los, ließen Innsbruck links liegen und gingen durch bis Völs, um unseren Pfarrer zu erreichen, denn uns war inzwischen das Geld ganz ausgegangen. Er war aber, als wir ankamen, nicht anwesend. Die Putzfrau, oder wer auch immer das war, sagte uns, er würde erst gegen 17 Uhr kommen. So gingen wir zurück zum Inn, um den Tag auf einer Bank zu verbringen. Gott, waren wir froh, dass es nicht mehr regnete. Uns tat alles weh vom tagelangen Sitzen und Schlafen auf der Holzbank. Das Dumme war, wir hatten keinen Wein mehr, auch kein Wasser, nichts zu essen und nicht einmal Zigaretten. So hofften wir, dass unser Pfarrer noch vor Geschäftsschluss wieder da war.

Am nächsten Tag ging ich wieder nach Innsbruck mit dem Vorsatz, den Tag in der Stadt und in irgendeinem Park zu verbringen. Mir taten die Füße von dieser ewigen Marschiererei schon weh und auch meine Schulter, hatte die Reisetasche ja doch mit allem ca. 20 Kilo. Da ich ja von Völs kam, lag mir der Besele Park in Wilten am nächsten. Dorthin begab ich mich zuerst. Ich war ja nicht mehr hier seit der letzten Einlieferung von Gisela. Es saßen einige bekannte Obdachlose da, einige Gesichter fehlten, dafür gab es ein paar neue. Ich wurde begrüßt und setzte mich zu ihnen. Es war die Wiltener Partie, wie man damals so sagte, denn sie hielten sich hauptsächlich in Wilten auf, saßen eben z.B. im Besele Park oder neben dem Inn an der Promenade oder waren rund um den Westbahnhof.

Also machten wir uns auf dem Weg zum WAMS, der ja gerade einmal eine Viertelstunde von unserem Platz entfernt war. Gisela ging hinein und nach kurzer Zeit schleppte sie mit ihrer Bekannten zwei große Matratzen heraus. Es war noch früher Nachmittag und sie sagte, zuerst tragen wir die Matratzen hinauf, danach könnten wir die Decken holen. Man konnte vom WAMS weg neben den Inn auf einen Weg bis auf die Höhe des Hafens gehen, dort gab es damals noch einen Fußgängerstreifen zum Überqueren des Autobahnzubringers, danach kam die Bahnunterführung und dann ging es hinauf zu unserem Platz. Ich sagte zu Gisela, du bleibst hier, ich trage die Matratzen alleine hinauf, nahm die erste auf den Rücken und ging los. Zum Glück war damals in dieser Gegend fast kein Fußgänger unterwegs, so dass ich niemandem begegnete. Aber als ich auf dem Zebrastreifen den Autobahnzubringer überquerte, beglückten mich die Autofahrer mit einem Hupkonzert. Das war sehr nett. Mit der zweiten Matratze das gleiche. Aber dann hatte ich sie oben. Danach trugen wir zusammen die Decken hinauf und somit hatten wir einen super Platz. Wir richteten uns alles ganz schön her und, da es schon später Nachmittag war, gingen wir noch einmal hinunter zum WAMS, denn direkt daneben gab es damals ein Familia Geschäft. Dort holten wir noch Wein, Wasser und eine Jause. Auf unseren neuen, wirklich erstklassigen Matratzen und den warmen Decken schliefen wir diese Nacht wie Schneewittchen. In der Früh waren wir herrlich ausgeschlafen, wir mussten ja jetzt nicht mehr um 5 oder halb 6 Uhr aufstehen und mussten auch nicht kilometerweit marschieren.

Es war auf einmal nicht mehr so kalt und, als wie wenn das Wetter es wüsste, dass Heiliger Abend war, begann es leicht zu schneien. Es war schon finster, als wir unseren alten Platz erreichten. Dort standen wir dann eine Weile und erinnerten uns an die harten Nächte, die wir hier verbrachten. 
Am Rückweg zur Stadt gingen wir ganz langsam, es schneite so schön und diese Stimmung wollten wir genießen. Als wir bei Amras durch die Burgenlandstraße kamen, hatte die dortige BP Tankstelle noch offen, und in deren Aufbau befand sich ein kleiner Raum mit einen langen Tisch und einer Sitzbank. Er war ziemlich voll mit Leuten, welche wir nicht kannten. Wir kauften uns etwas zu trinken und stellten uns dazu. Es war eine nette Stimmung.

Danach, es war schon etwas nach 22 Uhr, gingen wir langsam in die Stadt, streiften durch die Straßen und kamen durch die Maria Theresienstraße, als gerade die Mitternachtsmette aus war. Was wir dann erlebten, muss man gesehen haben, sonst glaubt man es nicht. Neben den Haupteingang zur Kirche befand sich ein kleiner Nebeneingang. Zu diesen führten zwei Steinstufen hinauf. Auf diesen saß ein älterer beinamputierter Mann, ob es ein Obdachloser war, weiß ich nicht, denn ich kannte ihn nicht, auf jeden Fall ein ganz armer Mensch mit seinem Hut in der Hand. Wir blieben etwas weiter weg davon stehen und sahen uns das an. 
Also, aus dem Haupteingang der Kirche strömten die Menschen, die sogenannte wohlbetuchte Gesellschaft, und begaben sich zu ihren sauteuren Autos. Die Damen in teuren Pelzmänteln, die Herrn ebenso elegant. Sie mussten praktisch an diesem armen Menschen vorbei. Nicht ein einziger, ob Dame oder Herr, gab diesem Menschen etwas. Wohlgemerkt: „nicht ein einziger“! Dafür kam dann, als sich alles verlaufen hatte, ein Herr Pfarrer, den wir nicht kannten, und diese seine Worte habe ich heute noch in den Ohren. Er sagte: „Wenn Sie nicht sofort verschwinden, hole ich die Polizei!“ 
Wir waren perplex. Wir gingen in die Altstadt, welche gleich daneben war, es war ja kein Mensch mehr auf der Straße, und tranken erst einmal einen Schluck Wein. Ich sagte zu Gisela, welche Tränen in den Augen hatte, wenn wir nur ein bisschen mehr Geld hätten, ich hätte es ihm gegeben. Das war kein schöner Abschluss für den Heiligen Abend. Langsam gingen wir wieder zu unserem Platz. Die beiden Weihnachtstage verbrachten wir hier.

...

Und damit war wieder der Tag da, an dem uns wie üblich wieder einmal das Geld ausging. Jetzt hatten wir zu diesem ganzen Wahnsinn dazu auch noch dieses Problem. Günther, welchen wir doch so einmal die Woche trafen, wollten wir auf keinen Fall fragen, denn dieser hatte uns schon genug geholfen. Also blieb uns fürs erste nur unser Pfarrer in Völs. Gut, wir waren schon längere Zeit nicht mehr dort, aber trotzdem war es kein schönes Gefühl, wieder hingehen zu müssen. Wir kamen uns da irgendwie doch wie Bettler vor. Aber was sonst hätten wir denn machen sollen? Uns blieb ja gar nichts anderes über. Abgesehen davon hatte jede Pfarre einen gewissen Fonds für Menschen in Not. Damals jedenfalls. Aber nicht bei jeder Pfarre bekam man deswegen auch etwas. Also machten wir uns am Nachmittag auf den Weg. Aber auf dem Weg neben dem Inn war der Schnee natürlich nicht geräumt und so mussten wir durch kniehoch liegenden Schnee stapfen. Es wurde ein beschwerlicher Marsch, für den wir dreimal solange brauchten als sonst. Gisela ging wie immer alleine zum Pfarrer und sagte, wenn es sich noch hoffentlich ausging, würde sie Wein und Zigaretten mitbringen. Es wurde schon langsam dunkel und ich wartete in der Bahnunterführung, die einzige schneefreie Stelle. Ich musste dieses Mal lange warten. Anscheinend musste sie auch auf den Pfarrer warten. Das war nicht fein, denn es war ja eiskalt und zudem waren meine Schuhe und Füße patschnass. Außerdem hatte es durch den Wind einen ziemlichen Durchzug in der Unterführung. Zum Glück besaß ich noch zwei Zigaretten, mit denen ich mich ein bisschen wärmen konnte. Kurz vor 19 Uhr, es war schon stockfinster, kam dann Gisela. So wie ich es dachte. Sie hat warten müssen, aber sie durfte es im Haus drinnen, brauchte also nicht frieren. Wein und Zigaretten hatte sie Gott sei Dank mitgebracht. Der Pfarrer war sehr nett und hat uns ein großes Jausenpaket und 400,- Schilling gegeben, sagte sie. Jetzt kamen wir natürlich damit wieder einige Zeit aus. Ich war steif gefroren und konnte meine Füße fast nicht mehr bewegen, stand ich doch zwei Stunden in dieser Kälte. Ich trank natürlich sofort einige kräftige Schlücke, um mich ein bisschen aufzuwärmen und Gisela natürlich auch, denn sie hatte bereits schon einen starken Entzug. Und so machten wir uns auf den Rückweg. Dieser war brutal. Der Schnee war inzwischen schon hart gefroren, so dass wir vorwärts kamen wie zwei Schnecken. Sehen konnten wir fast nichts und dazu noch ging ein eisiger Wind. Aber irgendwie schafften wir es, sicher durch den Wein, den wir unterwegs immer wieder in kleinen Schlücken tranken, das gab uns Kraft. An unserem Platz angekommen, fielen wir total fertig ins Bett. In der Früh hatten wir leichtes Fieber und dachten uns, wir dürfen um Gotteswillen nicht krank werden. So bleiben wir liegen. Zu essen hatten wir genug und zum Glück auch genügend Wein.  Wir tranken dann über den ganzen Tag hin und wieder genügend Wein, und so unwahrscheinlich es klingen mag, er half uns und bewahrte uns vorm krank werden. Jedenfalls, am nächsten Tag in der Früh war das Fieber weg und wir fühlten uns ein ganzes Stück besser. Was waren wir froh darüber!

Am dritten Tag in der Früh gingen wir zusammen hinauf nach Flauring ins Geschäft und kauften für zwei Tage wieder ein. Gisela hielt sich erstaunlich gut mit dem Alkohol, wir tranken in diesen Tagen fast nichts. Wahrscheinlich tat ihr die Ruhe gut und das Wissen, dass wir jetzt einmal keine Geldprobleme hatten. Aber auch die schönsten Tage gehen vorbei. Am fünften Tag in der Früh sahen wir, dass das Wetter wieder umschlagen würde. Es zogen schon Regenwolken auf. Wir packten schnell unsere Sachen zusammen und schafften es gerade noch zum Bahnhof, als es zu regnen begann. Dabei wären wir noch gerne ein bis zwei Tage geblieben. In Innsbruck angekommen, mussten wir schnell zu unserem Platz, um unsere Ausrüstung ins Trockene zu bringen. Am Platz angekommen, mussten wir erst einmal Luft holen und stehen bleiben. Gisela sagte, sie bräuchte sofort eine Zigarette und einen Schluck Wein. Das gleiche brauchte ich auch. Was war geschehen? Unsere großen Planen, welche wir sorgfältig über unser Bett und die Sachen gepackt hatten, waren weggerissen und alles lag verstreut herum. Irgendjemand hatte hier wie ein Vandal gehaust. Ich sagte zu Gisela, unsere Ruhe hier dürfte somit vorbei sein. Wir richteten wieder alles her und ließen auch unsere Ausrüstung oben in der Hoffnung, dass wenigstens nicht gestohlen wurde. 
Aber es ging dann in der Nacht schon los. Nach Mitternacht zogen betrunkene und grölende Jugendliche, so im Alter zwischen 15 und 17 Jahre, unten auf der Straße herauf Richtung Mentlberg. Ich konnte das vom Rande unseres Platzes sehen, denn die Straße lag an dieser Stelle ca. fünf Meter fast senkrecht darunter. Erst 50 Meter weiter oben war sie auf gleicher Höhe mit uns und von dort konnte man herein zu unserem Platz. Also wenn wirklich jemand herein kam, würde ich ihn auf gut 30 Meter schon sehen können. Ich wusste nicht, was da los war. Mentlberg war bisher eine total ruhige Gegend. Unser Platz war ja auch bis dato unberührt geblieben. Ich sagte zu Gisela, vielleicht haben wir Glück und es sind welche, die oben in Mentlberg zu Hause sind und nur ab und zu einmal einen über den Durst trinken. Es blieb aber bei dieser Hoffnung. Es ging nämlich dann jede Nacht gleich weiter.
Am nächsten Tag musste Gisela zu ihrer Ärztin wegen des Termin in Maria Ebene. Ich wartete wieder bei der Uni auf einer Bank, und als Gisela kam, sagte sie, sie hätte den Termin in der letzten Novemberwoche und die Entwöhnung wäre für drei Monate bewilligt. Nun, sagte ich, das wäre ja nicht mehr so lange und vielleicht hilft es dir ja wirklich besser als in Hall. In dieser Nacht begann es gefährlich zu werden für uns. Irgendwie mussten diese Burschen unseren Platz entdeckt haben und gegen 1 Uhr früh flogen Steine zu uns herauf. Wir schützten uns mit unseren Decken. Ich rechnete, es waren so sechs bis sieben Burschen, dass diese zu uns herauf kommen würden. Aber das taten sie doch nicht.

In der Früh begannen wir wieder mit einer Stadtrunde, doch es war keiner zu treffen. Gegen Mittag begann es wieder stark zu schneien. Wir gingen hinauf zu den Hochhäusern, um uns unterzustellen. Es war kein Mensch da, auch von Günther war nichts zu sehen. So holten wir uns im Geschäft einen Wein und eine Jause, denn jeden Tag zum Jugoslawen hinaufgehen, konnten wir uns dann doch nicht leisten. Nachmittag begann es, statt aufzuhören, noch stärker zu schneien, richtig Riesenflocken. „Wenn das so bleibt“, sagte ich zu Gisela, „werden wir heute nicht im Park übernachten können.“ Wir zerbrachen uns den Kopf, wo wir hin könnten, aber wir kamen zu keinem Ergebnis. Es schneite und schneite und es war schon dunkel, als ich zu Gisela sagte, es wird uns nichts anderes überbleiben, als nach Rum zu fahren und die Nacht dort im Wartehäuschen verbringen. Das machten wir auch. 
In der Früh hatte es aufgehört zu schneien, aber dafür war es eiskalt und der ca. 20 cm hohe Schnee war bretthart gefroren. Wir wussten, ein Stück weiter vorne in Neu-Rum war eine Tankstelle. Zu der gingen wir erst einmal, um heißen Kaffee zu trinken. Dieser wärmte uns ein bisschen auf. Danach beschlossen wir, in die Kettenbrücke essen zu gehen, gleichzeitig wären wir ein bisschen im Warmen. Was sollten wir denn sonst tun bei dieser Kälte? Es war ca. fünf km bis dorthin. Wir gingen zu Fuß, damit unser Körper ein bisschen durchblutet. Es war ganz schlecht zu gehen, denn es war ja alles vereist. 
Gegen Mittag hatten wir es dann geschafft und konnten uns bis zum Nachmittag dort aufhalten. Von unseren Freunden war überhaupt keiner da, nur ein paar Neue und einige Ausländer. Danach machten wir uns auf den Weg zu den Hochhäusern. Es wurde wärmer und wenn es nicht mehr zu schneien anfing, könnten wir wieder im Besele Park schlafen. Wir machten uns wieder die Bänke sauber und blieben noch etwas sitzen, um einen Wein zu trinken. Dass es nicht so weiterging, war uns klar, wir bräuchten dringend einen Fix-Platz, an dem wir auch wieder unsere Ausrüstung tagsüber lassen konnten, damit wir unsere schweren Taschen nicht den ganzen Tag tragen müssen. Aber wo?

Ich packte meine Ausrüstung zusammen und nahm noch aus Giselas Tasche Reservekleidung mit, damit sie etwas zum Wechseln hatte. Günther sagte ich gestern schon Bescheid und er sagte, das wird eine Umstellung werden, wieder hier alleine zu sein. Ich meinte: „Günther, sobald Schlechtwetter kommt, bin ich sowieso wieder da.“ Zu Mittag ging ich noch in die Kettenbrücke essen und duschen, danach machte ich noch einen kurzen Besuch im Franzosenpark. Es waren wieder einige da und saßen beim Paschen. Auch Schneider-Albin war da und, wie meine Freunde sagten, wäre er ein begeisterter Pascher. Sie fragten mich, ob ich jetzt auch wieder öfters zum Paschen kommen würde. „Nein“, sagte ich, „Gisela ist in Hall und ich werde mich jetzt auch längere Zeit unten aufhalten.“ „Hoffentlich erfangt sie sich“, meinten sie und wünschten mir alles Gute. Ich fuhr mit dem Bus hinunter und war dann pünktlich bei ihr. Ich hatte sie vergessen zu fragen, auf welche Station sie komme. Aber es war anzunehmen, dass sie wieder auf die 4er kam. Also ging ich zuerst dorthin. Und da war sie auch. Ich packte ihre Kleidung aus und sie sagte: „Fein, Gott sei Dank hast du daran gedacht!“ Zigaretten und Süßigkeiten hatte ich auch mit für sie. Sie sagte: „Ich ziehe mich nur schnell um und dann können wir in die Cafeteria gehen. Wo wirst du heute übernachten?“ „Na ja, ich werde wahrscheinlich auf unserem ersten Platz am Baumkirchner Waldweg schlafen, der ist nicht so weit weg wie die anderen Plätze“, sagte ich. 
Es war schon ziemlich dunkel, als ich ging. Es war eine knappe Stunde von Gisela weg bis zum Anfang des Waldweges, diese Strecke kannte ich ja schon auswendig von früher, dort gab es dann Bänke der Reihe nach. Ich setzte mich erst einmal auf eine, rauchte mir eine Zigarette an und genoss die Natur und die Stille. Ist doch etwas ganz anderes als unter der Autobahn, dachte ich mir. Wein hatte ich mit und so blieb ich noch lange sitzen, bis ich dann zum Platz ging. In der Früh war ich gut ausgeschlafen und dachte mir, das tut gut, diese Ruhe in der Nacht. Mittags ging ich dann nach langer Zeit einmal wieder zu der einen Essensstelle im oberen Teil von Hall. Unten gab es auch noch eine. Aber hier heroben gab es das bessere Essen. Man darf jetzt nicht glauben, dass man hier à-la-carte bekommt. Nein, es gibt in einer Schüssel Suppe und in einer zweiten meistens Kartoffeln und Gemüse. Da muss sich jeder selbst herausschöpfen. Fleisch gibt es so gut wie nie. Sind jetzt mehrere, hat man weniger, wenn nur weniger Leute da sind, kann man sich mit Glück etwas satt essen. So geht das. Aber zumindest hat man etwas im Magen.

Am Heiligen Abend gleich in der Früh gingen wir einkaufen, alles was wir brauchten über die Feiertage. Es war nicht so kalt, es begann sogar ein bisschen die Sonne zu scheinen und so sagte ich zu Gisela, nachdem wir alles auf unserem Platz verstaut hatten: „Du, ich mag heute nicht in die Stadt, was meinst du, gehen wir wieder einmal hinaus Richtung Völs und verbringen dort den Heiligen Abend?“ „Ja“, sagte sie, „den Vorschlag wollte ich dir auch gerade machen.“ So packten wir etwas zu essen und genug Wein ein, denn wir würden erst nach Mitternacht wieder zu unserem Platz gehen. Wir gingen dann schön langsam nach Völs und weiter Richtung Kematen. Da es nicht kalt war, setzten wir uns länger auf eine Bank, tranken etwas Wein und genossen das schöne Panorama, welches wir von hier aus hatten. Genau gegenüber von uns befand sich die „Martinswand“.
Kurz bevor die Dämmerung hereinbrach, machten wir uns auf den Weg zurück nach Völs. Dort setzten wir uns auf eine Bank beim Inn. Inzwischen war es finster geworden und die Lichter von Völs leuchteten zu uns herüber. Es herrschte absolute Stille und es war irgendwie romantisch und traurig zugleich für uns. Wir tranken ordentliche Schlücke, um über dieses seelische Tief zu kommen. Das tat uns gut und gegen Mitternacht gingen wir langsam wieder zurück zu unserem Platz.